Agilisierung eines Traditionsunternehmens: Gelebter Wandel bei Robert Bosch GmbH

Interview mit Anke Dewitz-Grube, Director Lean Agile Consultant, Robert Bosch GmbH

Als Traditionsunternehmen weiterhin Innovationen zu schaffen, ist ein wichtiger Baustein im Selbstverständnis der Robert Bosch GmbH. Wie das gelingen kann, stellt Anke Dewitz-Grube im Gespräch mit der Redaktion vor. Sie ist Director Lean Agile Consultant in der Robert Bosch GmbH und wird am 11. September zusammen mit Markus Warnke über Ambidextrie in Zeiten der Disruption und Transformation sprechen.

Redaktion: Was bedeutet Digitalisierung für die Robert Bosch GmbH?

Anke Dewitz-Grube: Autonomes Fahren, Smart Home, Internet of Things, Industrie 4.0: Bosch ist bei der Digitalisierung schon lange unterwegs und vorn mit dabei. Wir verstehen den digitalen Wandel als einen produktorientierten, vor allem aber als einen kulturellen Wandel. Digitalisierung wird nur möglich, wenn wir unsere Zusammenarbeit verändern. Was wir dazu jetzt brauchen, sind interdisziplinäres, crossfunktionales und agiles Arbeiten, ein anderes Führungsverständnis und die konsequente Ausrichtung auf den Nutzer.

Redaktion: Ein anderes Verständnis von Führung: Wie sieht das aus?

Anke Dewitz-Grube: In unserem sehr großen Unternehmen mit verschiedensten Herausforderungen wird es stärker als bisher verschiedene Formen von Führung nebeneinander geben. Entscheidungen werden stärker von der Hierarchie hin zu den Personen verlagert, die nah am Geschehen sind. Klassischerweise ist es ja so, dass die Entscheidungen auf wenige Schultern verteilt sind. Wenn schnelle und agile Entscheidungen nötig sind, sind die am besten, die Experten bzw. Gruppen von Experten treffen. Diese Verschiebung und das Miteinanderverzahnen unterschiedlicher Führungsmodelle ist das, was uns beschäftigt.

Redaktion: Das ist eine Herausforderung sowohl für das Führungspersonal als auch für die Mitarbeiter. Was wird da jeweils abverlangt?

Anke Dewitz-Grube: Von beiden Seiten wird eine hohe Reife abverlangt, also ein Verständnis dafür, wo ich mich gerade befinde bzw. welche Aufgabe gelöst werden soll. Es gibt in sehr eingespielten Prozessen gute Gründe für das klassisch-funktionale Führungsprinzip. Das ist in innovativen Kontexten anders. Hier geht es eher um Coaching, verstärkte Selbstverantwortung und um die Gestaltung des Dialogs zwischen Product Ownern und der Linie. Es ist anspruchsvoll, diese unterschiedlichen Rollen und Erwartungen zu kennen und sich entsprechend dem Kontext zu verhalten.

Redaktion: Wie machen Sie das konkret? Wie stellen Sie das Verständnis für die andere Seite her?

Anke Dewitz-Grube: Also erst einmal: ganz viel Dialog und gemeinsames Lernen.

So, wie wir es bisher gemacht haben, geht es nicht weiter.

Viele agile Beratungen starten mit der Erkenntnis bei den Teams: So, wie wir es bisher gemacht haben, geht es nicht weiter. Und dann kommt die Frage: Wie machen wir es dann? Das ist ein aktiver Lernprozess.Wir haben zum Beispiel gerade an einer Stelle zusätzlich zur Linie eine Netzwerkorganisation aufgebaut. In der sogenannten Konstitution haben wir Prinzipien festgehalten, wie das veränderte Miteinander geregelt ist. Erarbeitet wurde sie im agilen Modus von vier Teams in vier Monaten. Dabei waren Führungskräfte, die in einer klassischen Abteilungsleiterfunktion sind, Product Owner, die im Netzwerk arbeiten, sowie teilweise Team-Mitglieder und Kollegen anderer Funktionen. Die erste Version steht jetzt und wird ausprobiert. Die nächsten Monate werden zeigen, ob sie passt oder ob Anpassungen vorgenommen werden sollten.

Redaktion: Was steht in so einer Konstitution drin?

Anke Dewitz-Grube: Ganz praktische Themen werden hier geklärt. Zum Beispiel: Mit welchen Medien stellen wir Transparenz her, was muss transparent sein und für wen. Wie sind unsere Eskalationsstufen, wenn es mal klemmt, – idealerweise direkt und schnell selbst geklärt. Oder auch, wie man Themen priorisiert, wie die Finanzierung abläuft.

Redaktion: Für Bosch als Automobilzulieferer für Verbrennungsmotoren gibt es momentan die besondere Herausforderung, dass unklar ist, wann und in welchem Maße der Markt wegbricht. Das heißt man hat hier einerseits einen Rückbau und will aber auf der anderen Seite trotzdem vorne mitgestalten …

Anke Dewitz-Grube: Wir sprechen hier über die Diversifizierung des Antriebsstrangs. Also Antriebe, wie Elektromobilität, batterieelektrisch oder mit der Brennstoffzelle, synthetische Kraftstoffe und auch weiterhin Benzin und Diesel … Unser Portfolio wird breiter. Das ist natürlich eine Herausforderung – zu entscheiden, wo die Ressourcen reingehen. Eine Frage, die auch Generationen vor uns schon beantworten mussten. Allerdings haben sich die Wahlmöglichkeiten inzwischen vervielfacht und die hohe Veränderungsgeschwindigkeit am Markt verschärft die Situation noch. Eine Herausforderung, die wir annehmen.

Die eine richtige Antwort auf diese Fragen haben wir nicht und es gibt sie wahrscheinlich auch nicht.

Aber mit einem agilen Verständnis haben wir eine gute Methode an der Hand, um Lösungen zu finden – sich in kleinen Schritten zu verständigen und zu überlegen: Wer bin ich, was ist mein USP, wo will ich hin? Da gut abgestimmt nach vorne zu gehen, ist ja auch eine große Chance, und das agile Arbeiten hilft dabei.

Redaktion: Bosch ist ein Traditionsunternehmen mit einer urschwäbischen ingenieursgeprägten Kultur, das war ja auch lange Zeit ein Erfolgsgarant. Ist das jetzt eher eine Schwierigkeit, weil die Transformation erfordert, dass man flexibel reagiert, dass man vielleicht bisherige Sicherheiten so nicht mehr hat, dass sich auch nicht mehr alles so vorhersagen und berechnen lässt, wie man es als Ingenieur gerne hätte?

Anke Dewitz-Grube: Welches Bild haben Sie von einem Ingenieur? (Lacht.) Die Geschichte der Robert Bosch GmbH ist eine sehr bewegte. Es gab immer wieder Phasen, in denen das Unternehmen durch große Veränderungen ging. Schon Robert Bosch als Gründer hat mehr als einmal den Turnaround geschafft. Und er hat witzigerweise schon zu seinen Lebzeiten mit agilen Methoden gearbeitet, um sein Geschäft am Leben zu halten: Ideen sammeln, priorisieren, und dann ausprobieren, was am Markt funktioniert. Die Ingenieurstugenden beziehen sich ja nicht nur auf Konstanz und Vorhersagbarkeit, sondern ganz stark auch auf Entdecken- und Gestaltenwollen.

Redaktion: Bosch ist momentan stark auf Verbrennungsmotoren fokussiert und die Ingenieure kommen ja auch aus dem Bereich. Wie geht Bosch mit Unsicherheit und Ängsten um, die mit den neuen Technologien zusammenhängen?

Anke Dewitz-Grube: Gerade Ingenieure lieben technische Herausforderungen. Wir bieten beispielsweise Maschinenbauern die Möglichkeiten, sich Software und  Wissen zur Elektrifizierung anzueignen, um sich anschließend in neuen Businessfeldern einzubringen. Damit schaffen wir einen Rahmen, um Veränderungen aktiv zu gestalten.
Ich finde das Wort „Angst“ nicht passend. Es gibt zwar jetzt große Veränderungen, richtig, aber ungeübt sind wir darin nicht, Veränderungen zu gestalten. Materialveränderungen, die technischen Rahmenbedingungen, die Anforderungen an die Automobilindustrie, was die Luftreinheit angeht … das sind Themen, denen wir uns schon lange stellen. Mit ständig verändernden Bedingungen umzugehen, das keine einfache, aber auch keine ganz neue Aufgabe.

Redaktion: Wie schaffen es Sie und andere, die in diesem Prozess maßgeblich gestaltend sind und eine unglaubliche Komplexität bewältigen müssen, nicht in die Überforderung zu kommen?

Anke Dewitz-Grube: Das agile Arbeiten hat tatsächlich ein unheimliches Potenzial, in der Situation zu helfen, in der wir jetzt sind. Es geht eben nicht darum, dass wir heute die Lösung für morgen ausformulieren, sondern es geht darum, dass wir die Probleme, die wir sehen, jetzt bearbeiten und so Schritt für Schritt vorangehen. Und wenn sich morgen neue Herausforderungen stellen, dann fließt diese neue Erkenntnis oder Aufgabe eben morgen in die Betrachtung mit ein. Das agile Arbeiten, dieses kurzfristige und hoch transparente Arbeiten mit einer guten Fehler- und Lernkultur: Das ist pures Gold, um mit einer solchen Situation umzugehen. So zu arbeiten, das gibt Kraft und Freiraum um zu gestalten. Deswegen möchte ich auch viel lieber über Chancen reden als über Ängste. Denn wir haben ja auch die Möglichkeit, Dinge zum Besseren zu gestalten. Wir fühlen eine Verantwortung, die Zukunft mitzugestalten, und haben auch Freude daran. Es ist doch eine tolle Zeit!

Dieses Interview wurde ursprünglich auf innovation-implemented.com veröffentlicht.